Vor wenigen Monaten habe ich mich auf den Weg gemacht: 21 Tage auf den Jakobsweg. In der Planung war vorab schnell für mich klar, dass ich es nicht bis nach Santiago, das traditionelle Pilgerziel, schaffen würde. Viel lieber wollte ich am klassischen Startpunkt des Camino Francés auf französischer Seite der Pyrenäen starten und dann einfach für drei Wochen laufen. Ich lief also los - nicht um irgendwo anzukommen, sondern um des Laufens Willens. Das stieß bei meinen Mit-Pilgernden mitunter auf Verwirrung.
„Kommst du dann nächstes Jahr wieder und machst den Weg fertig?“ war eine Frage die ich fast jedes Mal hörte, wenn ich angab nicht bis nach Santiago zu laufen.
Meine Antworten darauf lauteten dann oft „mal sehen / ich habe keine Pläne diesbezüglich / vielleicht, vielleicht nicht / ist mir nicht wichtig“ und sorgten so für noch mehr Verwirrung. In den Meisten schien die Überzeugung verankert zu sein am Ende der Pilgerreise auch am Ziel ankommen zu wollen - und wenn das nicht geschieht, ist die Pilgerreise irgendwie unvollständig.
Ich traf mehrere Menschen auf dem Weg, die zuvor Teilabschnitte gegangen sind und sagten, sie wollen den Weg nun „vervollständigen / zu Ende bringen“. Es mag gut sein, dass dies auch für mich nicht meine letzte Pilgerreise war und ich zurückkehre. Aber sicher nicht mit der Absicht irgendwo anzukommen.
Ankommen auf dem Jakobsweg
Das Thema des Ankommens schien nicht nur auf übergeordneter Ebene eine Rolle zu spielen, sondern natürlich auch im Alltag. Wiederkehrende Unterhaltungen waren „wann stehst du morgen auf / bis wohin gehst du morgen / wo wirst du später einkehren?“. Meine Antwort auf all diese Fragen lautete konsequent immer „mal schauen“.
In der Tat stellte ich mir nie einen Wecker, sondern wachte auf wenn ich aufwachte und nahm mir dann erst Mal ausgiebig Zeit um mich zu stretchen. Ich lief einfach los wenn ich soweit war.
Auch löste ich mich im Laufe des Weges von Planungen darüber, wo ich wohl die Etappe beenden würde. Das war gar nicht so leicht - erhält man im Pilgerbüro an Tag 0 doch Etappen-Empfehlungen an die sich die restlichen Leute recht strikt zu halten schienen. Der soziale Druck nicht „zurückzufallen“ war durchaus spürbar. Ich erinnerte mich aber daran, dass ich auf meinen Körper hören will, und schlug so mein eigenes Timing und Routing ein.
Alle laufen ihren Weg unterschiedlich, und zudem aus ganz verschiedenen Gründen. Ich durfte mich also besinnen und für mich herausfinden, warum ich eigentlich lief und wie ich den Weg dementsprechend konkret laufen wollte. Worum ging es hier eigentlich?
Schnell wurde mir klar was ich nicht will. Ich wollte weder ein großes Ziel erreichen, noch mir etwas beweisen. Ich wollte nicht sportlich gehen, nicht gehen um an meinen Bekanntschaften dran zu bleiben. Ich kam mit dem Wunsch, maximal präsent zu sein, maximal in meinem Körper, und maximal offen für die Schönheit in mir und um mich herum. Und diese Motivation entfaltete sich Tag für Tag immer mehr.
Der Jakobsweg als Gehmeditation
Menschen, die einen schnelleren Gang an den Tag legten als ich, rauschten an mir vorbei. Jedes Mal, wenn ich unbewusst eilte, hielt ich inne und entschleunigte. Ich pausierte wenn ich pausieren wollte, saß nieder um den Sonnenaufgang zu bewundern, und den Schaf-Auftrieb in den Pyrenäen.
Wenn man nicht sieht und wertschätzt wie magisch das Licht auf Rinde und Blätter der Bäume am Wegesrand fällt oder wie ätherisch der Duft an Nadelbäumen und Gräsern in der prallen Mittagssonne wird - ja war man denn dann überhaupt da?! Was nützt es mir irgendwo anzukommen, wenn ich den Weg versäumt habe? Wenn ich mich verpasst habe?
An schwierigen Tagen lernt man einen Fuß vor den anderen zu setzen. Weiter gehen - auch wenn es schmerzt. Ich machte es mir zur Aufgabe jeden Schritt zu genießen, auch die schwierigen.
In jedem Schritt anzukommen statt erst am Ende eines langen Tages ist eine Kunst, die ich auf dem Jakobsweg üben durfte. Ich fühle mich wahnsinnig beschenkt.